Science-Fiction-Filme sind überall und wissen es nicht mal. Oder?
Über die Erfahrung Parasite zu schauen mit der Erwartung, dass es SciFi-Horror ist.

(Bild: Jeff Wall „Morning Cleaning, Mies van der Rohe Foundation, Barcelona 1999“. Via Phaidon. Eigentlich sagt dieses Bild mehr als mein Artikel…)

Es ist kein SciFi-Horror, könnte es aber sein. Selbst diese vage Andeutung ist schon zu viel verraten – aber keine Sorge, ich glaube ich übertreibe. Ich kann es nicht so richtig begründen, wieso es mir so viel Spaß gemacht hat ausgerechnet diesen Film fast ganz ohne Vorwissen zu schauen.
Obwohl ich also beim Schauen auf Sci-Fi-Momente wartete und „enttäuscht“ wurde, weist PARASITE in meinen Augen formale und inhaltliche Aspekte auf, die mich zumindest an Science Fiction erinnern. Am augenscheinlichsten ist das bei der Kamera der Fall. Parasite ist ein kornloser, glatter, hochaufgelöster, digitaler, weicher Film, wie COLLATERAL (einer der ersten „großen“, bewusst digitalen Filme) mit noch mehr Frames pro Sekunde. (Lässt Ang Lee eigentlich zu Hause Motion Smoothing an?)
Diese weiche Kamera bewegt sich auf sehr weichen Gimbals, wie ein Zitterrochen, mal links, mal rechts und schlecht um die Ecken – wie auf der Suche nach Aliens oder Männern hinter Winkie’ses. Die zwei Welten, die sie dabei durchfliegt, werden in präzisen, durchkomponierten Einstellungen gezeigt; nicht nur die geometrische Moderne der reichen „Oberwelt“, sondern auch das schiefe, organische Chaos der armen „Unterwelt“. Die letztere erstrahlt durch übersättigte, HDR-artige Belichtung in einem eigentümlichen Glühen, wie der Kitsch von nassen, dunklen Computerspielszenen.
Ähnlich wie in Ang Lees EISSTURM, oder TERMINATOR 2, spielt eine bauhausige, miesvanderrohige Villa eine wichtige Nebenrolle, hier aseptisch wie die Krankenstation der Nostromo. Ihre Höhenlage, ein hoher Zaun und das Beton-Tal der Auffahrt (im Filmraum durch Schnitte abgetrennt wie eine Schleuse) trennen sie vom Siff der Unterwelt. Selbst in einer Flut von biblischen Dimensionen bleibt die Villa trocken. Die großen Fenster halten dicht, das Kinder-Tipi im Garten verhöhnt als Raum-Simulakrum die ebenso dünnwandigen, improvisierten Behausungen der Armen. Für die ist der sintflutartige Regen eben nicht nur eine spielerische, sondern eine existenzbedrohliche Herausforderung, die – zu allem Überfluss – auch noch slapstickhaft übertrieben wird.
Ich habe PARASITE mit Untertiteln gesehen. Vielleicht ist es meine Unvertrautheit mit dem Koreanischen und meine hollywoodverseuchte Ignoranz, die diese Sprachwelt als äußert fremdartig erscheinen lässt. Insbesondere im Kontrast zu den Fetzen Englisch, die auf mehereren Ebenen manchmal aufscheinen: als Lehnwörter, die nur mit sehr genauem Hinhören ihre Herkunft preisgeben; als cooler Slang („Relax!“); und als Second Language. Letztere wird, mit kulturellem Wissen, als Tarnmantel für die Infiltration höherer Schichten benutzt, sozusagen weaponized.
Genau diese Infiltration der höheren Schichten, umgekehrt die Ausnutzung der „niederen“ Schichten ist der moralische Kern von PARASITE (wer ist denn hier jetzt Parasit – Angestellte oder Arbeitgeber_in?). Die architektonischen Metaphern und ihre visuelle Erzählung, die Brutalität der Eskalation dieser Konstellation, die (subjektive) Fremdartigkeit dieser Welt, und die starke „Gesamt-Konzeptualität“ erzeugen in mir ein Gefühl, das ich meistens nur bei Science Fiction spüre.

Bemerkung am Rande: dass die „arme“ Familie jeden Abend zusammen Bier trinkt… ♥

Okja

„Wieso? – Schweine sind dreckig. Ich eß keine dreckigen Viecher.
Speck ist was Feines, Kotelett auch.
Vielleicht schmeckt Ratte nach Kürbiskuchen. Trotzdem eß ich sie nicht.
Ein Schwein schläft und vögelt in seiner Scheiße.
Ich esse nichts, was in seinen Fäkalien lebt. – Und dein Hund?
Er frißt seine eigenen Fäkalien.
Hund esse ich auch nicht.
Aber du hältst ihn nicht für ein schmutziges Tier.
Sie sind keine Drecksviecher, aber schmutzig.
Aber ein Hund hat Persönlichkeit.
Dann wäre ein Schwein mit Persönlichkeit kein Drecksvieh? Stimmt’s?
Das gilt nur für ein charmantes Schwein. Es müßte viel mehr Charme haben als Miss Piggy.“

Bong Joon-Hos Film vor PARASITE war OKJA – ein AlienBuddy/Creature-Feature-Movie über Vegetarismus – sozialkritisch, explizit Science Fiction.
Okja, das namensgebende genmanipulierte Wundertier, das ebenso lecker wie ressourcenschonend und klimafreundlich sein soll, bleibt leider im Uncanny Valley stecken. Ich kann nie die Erinnerung an 3D-Modeller und Animator_innen abschütteln. Der Fluch der etwas zu guten CGI könnte eigentlich produktiv genutzt werden: Denkbar wäre etwa, die schon sehr menschlichen Augen von Okja noch menschlicher erscheinen zu lassen.
Die Menschlichkeit der Nebendarsteller_innen hingegen wird runtergefahren und ihre Maniersmen aufgedreht: statt auf 110% (wie in PARASITE!) agiert Jake Gyllenhall auf 1000% (vgl. Jim Carrey als Dr Robotnik). Mit den ikonischen Kostümen (Tilda Swinton als Joan Cusack in Toys) erstickt das satirische Potential und es bleibt ein unausgegorenes Action-Märchen übrig. Ach ja, schließlich wird Okja von seiner jungen, menschlichen Besitzerin Freundin befreit und vor dem Schlachthof gerettet.


Douglas Adams „perfektes“ Tier im Restaurant am Ende des Universums. via

Vielleicht ist Okja für ein jüngeres Publikum gedacht? Dafür würde auch die relativ simple Botschaft sprechen („Hey, das Schwein, das du isst, hat vielleicht Gefühle und eine Seele“), andererseits gibt es auch extrem brutale Konfrontationsszenen, die fast schon die Banalität von PETA-Kampagnen erreichen. Anders als in PARASITE fallen diese Schockmomente dann etwas aus dem Film raus.
Schließlich ergibt das nicht die gute Art von Kinder/Familien/Whatever-Agism-Film, der dann doch für alle funktioniert. Netflix halt?

Us

Achtung, noch rabiatere Spoiler.

Vielleicht hatte ich bei PARASITE ein SciFi-Gefühl, weil vieles von US rübergeschwappt ist?
Jordan Peeles (Key & Peele, GET OUT, und, hey, Fargo Staffel 3) Horrorfilm bedient sich einer übernatürlichen Horror-Maschinerie um gesellschaftskritische Aussagen zu treffen. Night of the Living Doubles!
Die offensichtlichste Parallele zwischen den beiden Filmen ist die Figurenkonstellation: je zwei Mutter-Vater-Tochter-Sohn-Familien (naja, fast: 93.75%), bärig-doofe Dad-Jokes-Dads, resolute Hands-On-Moms, pragmatisch-praktische Kids.
Bei Us ist die Familie doppelt gespiegelt: eine Kopie ist bizarro-böse, die andere etwas reicher, uncooler, und weiß (Elisabeth Moss und Tim Heidecker). Die Familien-Kopien sind hier deutlich überzeichneter, insbesondere zeigen sich Unterschiede im Humor, wenn die heideckersche (Un)Sensibilität auf Key&Peele-Deadpan-Improvisation trifft.


via

Die groben Gemeinsamkeiten mit stilistischen Unterschieden gehen weiter: Moss und Heidecker wohnen in (irgendeiner) Villa. Us‘ Score greift eher mal in die abgenutzte Kiste „freundliche Rock-and-Roll-Oldies und gleichzeitig passiert was schreckliches“. Gleichauf sind beide Filme bei der digitalen Kamera: Us ist besonders gut in seinen dunkelsten, satten Momenten.
Sehr gruslig, ein bisschen Exploitation, ein bisschen Schlock; US ein fast schon klassischer übernatürlicher Horrorfilm; PARASITE eine schwarze Komödie (ugh) und Drama, beide sehr unterhaltsam, wenn auch etwas overhyped.

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